Unmute 2021: Deutschland und Europa gehören zusammen

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Prof. Ulrike Guérot ist seit 2016 Professorin an der Donau-Universität Krems und Leiterin des Departments Europapolitik und Demokratieforschung. 2014 gründete Sie das European Democracy Lab, ein Think Tank der sich mit der Zukunft europäischer Demokratie befasst. Ulrike Guérot fokussiert ihre Forschung auf die Entwicklung von Konzepten zur Zukunft des europäischen Integrationsprozesses.

Im Interview mit Workpath spricht Ulrike Guérot über Instrument der Machteindämmung der großen Tech-Giganten und welche konkreten Ziele und Ergebnisse die Politik formulieren sollten, um ihr Ziel eines fairen digitalen Wettbewerbs auf nationaler wie auf europäischer Ebene zu erreichen.


Hallo Frau Guérot, unsere digitale Welt wird von großen Konzernen wie Apple, Microsoft, Amazon und Google dominiert. Ihr rasantes Wachstum beruht auf Monopolen, die sie in ihrem jeweiligen Bereich errungen haben. Die EU möchte nun strengere Regulierungen für große Tech-Giganten einführen, um diese in die Schranken zu weisen. Was halten Sie davon? Welche Herausforderung gibt es bei der Umsetzung?

Es ist nichts Neues, dass wir die Monopolisierung dieser Konzerne beanstanden müssen. Schon Mitte der 90er wurde bereits festgestellt, dass sich eine Monopolstruktur anbahnt. Aber warum wurden diese Monopole nie zerschlagen? Das Letzte, was die Amerikaner nach eigener amerikanischer Rechtsprechung zerschlagen haben, war AOL. Die großen Techkonzerne jedoch nicht. Das liegt daran, dass Amerika keine wirkliche Industrie mehr hat und nur von diesen Konzernen lebt. Deshalb kann man sie auch nicht zerschlagen.

Man könnte natürlich die amerikanisch-geltende Antitrust Regulations anwenden, dann müssten alle großen Techkonzerne zerschlagen werden. Aber was passiert dann? Wir würden viele kleine Tech Firmen haben, die höchstwahrscheinlich von chinesischen Unternehmen wie ein Staubsauger aufgekauft werden würden. Das wär nicht unbedingt besser für Europa oder für den “Westen”.

Hier gibt es zwei wichtige Felder, in denen wir in Europa etwas tun können. Erstens, müssen die Konzerne vernünftige Steuern zahlen, sonst dürfen sie hier auch kein Geschäftsmodell haben.

Zweitens sollte mehr im Bereich von Datenschutz, Stichwort Cookies gemacht werden. Vor allem die jüngere Generation ist an Cookies und das Datentracking gewöhnt, weshalb ihnen das Thema eigentlich egal ist. Jeder kennt das Szenario: Man besucht eine Webseite und wird dazu aufgefordert, Cookies zu akzeptieren. Und genau dieser eingebaute Riegel, dass man dem “Ausspionieren” zustimmt, wird aus Bequemlichkeit von den Nutzern akzeptiert. Die Datenschutzgrundverordnung, die die EU immerhin eingeführt hat, ist durch diese Bequemlichkeit am Ende somit wirkungslos.


Gibt es andere Instrumente, die diesen Umstand hebeln könnten?

Ein Lösungsansatz könnte der Bau eines europäischen Netzes sein. Ich unterstütze den Vorschlag von Emmanuel Macron, einen europäischen Internetkonzern zu schaffen, der völlig neu nach europäischen Regeln konstruiert wird. Hier können nur Unternehmen rein, die europäische Standards erfüllen. Im Umkehrschluss werden Konzerne wie Facebook, Google oder Alibaba verboten. Die Server würden dann auch in Norwegen und nicht in Kalifornien stehen. Die Frage ist, ob Europa hier überhaupt entscheidungsfähig sein will. Können wir überhaupt noch auf holen und ist das finanziell machbar? Dazu sage ich nur, es ist nie zu spät. Besser jetzt als nie.

Der Bau eines europäischen Internets könnte als Kommunikationsinstrument der Zukunft das Medium der Demokratie darstellen. Damit das überhaupt möglich ist, darf das Internet auf keinen Fall privat sein und auch nicht kapitalistischen Interessen genügen. Wir sollten also ein europäisches Internet bauen, von der Struktur her wie unsere öffentlichen-rechtlichen Anstalten. Es wird über öffentliche Beiträge finanziert und nicht über Algorithmen und Werbeinteressen. Dann könnte das Internet als Medium der Demokratie funktionieren. So sehen wir ja gerade, dass wir die Demokratie mit dem Internet zerstören.

Welches Ziel muss sich die neue Regierung Ihrer Meinung nach setzen, um hier schnell voranzukommen?

Sobald die neue Bundesregierung einen europäischen Rat hat, könnte man über die Einführung eines solchen europäischen Internets sprechen. Dann wäre ein Ziel des EU-Rats, dass wir in 10 Jahren ein europäisches Internet mit einem europäischen Backbone aus europäischen Unternehmen wie beispielsweise SAP oder Nokia aufbauen.

Wir nehmen uns also bis 2031 Zeit, dieses zu planen, zu finanzieren und schließlich umzusetzen und würden so ein europäisches öffentlich-rechtliches Medium schaffen. Das könnte der Vorschlag der Bundesregierung 2021 für Europa sein.

Gibt es konkrete Metriken oder Meilensteine, auf die wir schauen sollten, die uns helfen können zu verstehen, wie gut wir vorankommen?

Ich würde als Politikwissenschaftlerin sagen, ein europäisches Internet muss klein und dezentral sein. Wenn wir als Europäer ein öffentlich-rechtliches Internet bauen wollen, dann müsste man sich als Milestone die Fragen stellen: Wie bekommen wir das ganze dezentral hin? Wie bekommen wir vernünftige Kontrolle? Ich kenne mich da von der technischen Seite nicht aus, aber ich denke, wir müssten wie bei Stromnetzen einzelne Masten haben, damit man Segmente aus- und anschalten kann. Aus Sicht der ökonomischen und politischen Theorie muss das Internet überschaubar gehalten werden. Da müssen kleine Zellen miteinander verknüpft werden. Die Interfaces müssen vernünftig gebaut werden.

Welche Wünschen haben Sie an die neue Regierung?

Ich sehe für mich keine steuerungsfähigen Nationalstaaten mehr. Wenn überhaupt, gibt es mit Blick auf die Digitalisierung ein europäisches Projekt und kein alleiniges Projekt der deutschen Bundesregierung. Nach den Worten von Adenauer: Deutschland und Europa gehören zusammen.

Es gibt eine akademische Debatte, an der ich auch teilnehme, dabei geht es um den Begriff des EU-Citizens. Citizenship bedeutet, gleiche Rechte überall zu haben - bei Steuern, Wahlen und sozialen Rechten. Eigentlich ist das das europäische Versprechen. “Europa heißt nicht Staaten zu integrieren, sondern Menschen zu einen.” Menschen eint man in einer Demokratie auf dem Grundsatz der Rechtsgleichheit. Wir haben die Rechtsgleichheit für Güter - den EU-Binnenmarkt - und  für das Kapital durch den Euro geschaffen. In den letzten Jahren der europäischen Integration sind aber die europäischen Bürger*innen einerseits von den politischen Prozessen der EU abgekoppelt worden. Andererseits haben sich immer mehr rechtliche Unterschiede - vor allem in sozialen Fragen - zwischen den EU-Bürger*innen herauskristallisiert, insbesondere tiefe Unterschiede zwischen Ost und West. Deswegen wird jetzt über solche Konzepte wie ein z.B. europäisches Arbeitslosengeld diskutiert. Eine Demokratie, auch eine europäische, lebt vom allgemeinen politischen Gleichheitsgrundsatz. Ein "Zwei-Klassen-Europa" darf es nicht geben.

Mein Wunsch wäre also, dass wir eine Europa auf dem Prinzip des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes schaffen, der für alle bürgerlichen Belange - also auch bei Wahlen, Steuern und beim Zugang zu sozialen Rechten - gelten muss, damit die europäischen Bürger*innen in der EU genauso rechtsgleich sind, wie die Güter und das Kapital. Dann hätten wir die Grundlage für eine europäische Demokratie.