Andreea Havrișciuc ist seit mehr als sechs Jahren Teil der METRO Group und für verschiedene agile Aufgaben zuständig. Mittlerweile ist sie Agile Domain Manager & OKR Evangelist bei METRO.digital, einer produktorientierten Organisation, die digitale Lösungen für den internationalen Großhändler METRO entwickelt.
Hallo Andreea, du hast die OKR-Reise von METRO.digital von Anfang an begleitet, als das Framework 2017 eingeführt und später auf das gesamte Unternehmen und seine über 300 Teams ausgeweitet wurde. Warum entschied sich METRO.digital OKR zu implementieren und wie gut waren die Teams auf den Start vorbereitet?
Unsere agile Transformation hatte bereits drei Jahre zuvor begonnen, als unsere damaligen Silos zu funktionsübergreifenden Teams wurden und wir begannen, in Scrum- und Kanban-Iterationen zu arbeiten. Wir fühlten uns agil und reif für die nächste Stufe - die OKR Implementierung. Wir beschlossen also, OKR einzuführen, um unser Alignment, unsere Priorisierung und Fokussierung zu verbessern - schließlich sind wir in mehr als 20 Ländern tätig und ein sehr diverses Team.
Wir wollten zielorientierter werden und unsere Perspektiven erweitern; von den operativen, zweiwöchentlichen Scrum- und Kanban-Iterationen hin zu OKR für einen stärkeren Unternehmensfokus.
Uns war es zudem wichtig, einen echten Mehrwert für unsere Kunden zu schaffen. Es passierte einfach zu oft, dass wir etwas entwickelten, das am Ende für die Kunden nicht von Nutzen war.
Diese Entscheidung hing in erster Linie mit einer großen Veränderung auf der Managementebene zusammen. Unsere Führungskräfte erkannten, dass sich etwas radikal ändern musste, damit wir unseren Wettbewerbsvorteil bewahren können.
Sogesehen verlief die OKR-Einführung top-down?
In der Tat begann die Implementierung auf der Managementebene. Nachdem das Führungsteam die Entscheidung getroffen hatte, OKR zu nutzen, wurden Teams von METRO.digital zu einer Schulung eingeladen. Wir betrachten OKR als einen bottom-up-Ansatz mit strategischer Anleitung durch die Unternehmensführung. In diesen ersten Pilotgruppen wurde OKR also als etwas Hilfreiches beworben. Kein Team wurde gezwungen, das Framework zu verwenden. OKR wurde schrittweise eingeführt mit Bereitschaft und Einsatz der Teams. Ich glaube, dass dieser Ansatz grundlegend für unseren Erfolg war.
Das klingt nach einer Bilderbuch-Implementierung. Mussten die OKR-Prinzipien in irgendeiner Form angepasst werden, damit sie für METRO.digital funktionieren?
Ja, wir haben sie auf uns zugeschnitten. Zunächst haben wir nach den Regeln gespielt, aber schnell festgestellt, dass wir schwerfälliger sind als ein Start-up. Wir haben fast tausend Mitarbeiter, ein OKR-Zyklus von drei Monaten war einfach zu kurz. Zurzeit arbeiten wir mit sechsmonatigen Zyklen. Außerdem wollten wir unsere Stakeholder besser einbeziehen und ihnen die Möglichkeit geben, ihre Prioritäten zu formulieren, bevor wir unsere OKRs festlegen. Das nennen wir "POKR": Priorisierte OKR. Schließlich haben wir unsere eigenen zehn POKR-Prinzipien entwickelt, die schlank und für jeden leicht verständlich sind.
Dennoch fühlte es sich noch immer so an, als müsste OKR zusätzlich zu all der Arbeit, die wir bereits haben, erledigt werden. Um uns von dem Eindruck zu lösen, dass OKRs unserer kostbaren Zeit schaden, sondern sich vielmehr in den Alltag einfügen, haben wir sie in unsere Unternehmenswerte, unser Leadership Manifesto und unsere täglichen Coaching-Sitzungen, Brown Bag Meetings und Podiumsdiskussionen integriert.
OKR wurde zu einem Mindset, es war nicht länger etwas Starres, wie ein Framework.
OKR wurde also zu einer neuen Denkweise, sobald die Prinzipien festgelegt und diskutiert wurden?
Wir legen großen Wert darauf, unsere Werte zum Ausdruck zu bringen, um das Fundament für eine gute Unternehmenskultur zu legen. Natürlich gibt es bestimmte Tugenden, die nicht gelebt werden, nur weil sie irgendwo niedergeschrieben sind. Wir wollten zum Beispiel ehrgeiziger und innovativer werden, aber die Mitarbeiter waren noch immer zu schüchtern dafür. Sie mussten ermutigt werden, zu experimentieren und auch mal zu scheitern.

Wie ermutigt METRO.digital seine Mitarbeiter zum Scheitern?
Es ist schwer anzuerkennen, dass Scheitern nun einmal Teil eines jeden Prozesses ist. Ich habe erkannt, dass jeder beim Scheitern begleitet werden möchte. Also haben wir auch das in unseren Unternehmenswerten verankert: Zu unserem Wert "Pragmatismus" gehört zum Beispiel der Zusatz "done is better than perfect", zu unserem Wert "Respekt" gehört "sich sicher fühlen, Fragen stellen und Bedenken äußern können". Dann haben wir unser "INIT()"-Programm ins Leben gerufen. Es bietet ein tolles Umfeld, um herumzuprobieren, zu scheitern und daraus zu lernen. Jeder kann Experimente vorschlagen, durchführen und auswerten. Es ist vor allem für diejenigen Mitarbeiter eine tolle Gelegenheit, die es normalerweise nicht gewohnt sind, etwas zu wagen. Wer eher ein vorsichtiger Typ ist wird von den Enablern ermutigt, sprich denen, die keine Hemmungen haben ihre Misserfolge zu teilen.
Ich bin sicher, dass Menschen auch außerhalb des "INIT()”-Rahmens scheitern. Wie sieht der alltägliche Umgang mit Misserfolgen bei METRO.digital aus?
Das hängt natürlich vom Kontext ab: von der Person, die scheitert, und ihrem Support System, in der Regel ihrem Team und den Vorgesetzten. Lass mich ein Beispiel nennen: Im letzten Zyklus scheiterte ich bei der Organisation einer wichtigen OKR-Veranstaltung, weil ich nicht genügend Mitarbeiter zur Teilnahme bewegen konnte. Ich habe die Veranstaltung nicht rechtzeitig abgesagt, weil ich mich übermäßig verantwortlich fühlte und niemandem auf die Füße treten wollte. Ich besprach die Sache schließlich mit meinem Team und beichtete sie meinem Vorgesetzten, Eugen Coandă. Er sagte: "Andreea, ich bin stolz, dass du deinen ersten Misserfolg mit mir teilst". Er fragte mich, wie ich mich fühle, was mir gefehlt hätte, wie er mir helfen kann, damit abzuschließen und was ich daraus gelernt habe. Ich bin mittlerweile selbst eine Führungskraft und verfolge denselben Ansatz. Für mich löst Scheitern Mitgefühl aus. Die Menschen brauchen Vertrauen, um sich überhaupt zu äußern, und viel Sicherheit, um zu wachsen. Nicht jede Führungskraft ist von Natur aus empathisch, aber jeder kann es werden. Scheitern ist etwas Persönliches, wird aber durch eine gute Unternehmenskultur unterstützt.
Wie hat das OKR-Framework METRO.digital geholfen, diese Kultur des Scheiterns und Lernens zu fördern?
Richtig eingesetzt, kann OKR einen tiefgreifenden Wandel bewirken. Es befähigt die Teams, ihre eigenen Ziele zu verfolgen, Entscheidungen zu treffen, zu verhandeln und Wert zu schöpfen. Es ermöglicht eine Beziehung auf Augenhöhe zwischen allen Ebenen und fördert eine Netzwerkorganisation anstelle einer Pyramidenorganisation, die auf engen Hierarchien und Command and Control basiert.
Unsere OKR-Transformation hat den Weg für unseren Produktmanagement-Ansatz geebnet, denn sie hilft uns, die Bedürfnisse unserer Kunden besser zu erforschen und einen echten Mehrwert zu schaffen.
Durch diese schrittweise Veränderung entsteht allmählich eine offene Kultur, in der Scheitern und Lernen den Weg zu kontinuierlichem Wachstum ebnen. Mit OKR können wir Teams ermächtigen, zu ihren Fehlern zu stehen und an ihnen zu wachsen, während sie gleichzeitig Wert schaffen.
Vielen Dank für diese Einblicke, Andreea!