Unmute 2021: Souveränität für die digitale Transformation

Inhaltsverzeichnis

Patrick Häuser ist seit 2020 für die politische Interessenvertretung des Bundesverbands IT-Mittelstand zuständig. Zuvor war er als Berater für einen Abgeordneten des Deutschen Bundestages sowie bei einer Public-Affairs-Agentur tätig. Dort unterstützte er u.a. Unternehmen aus der Digitalwirtschaft bei der politischen Kommunikation in Berlin und Brüssel.

Im Interview mit Workpath spricht Patrick Häuser über die digitale Souveränität in Staat und Verwaltungen, über die Rolle des Mittelstands sowie über konkreten Ziele und Ergebnisse, die die Politik für ein zukunftsfähiges Deutschland formulieren sollte.

Hallo Herr Häuser, die Potenziale der Digitalisierung werden in Deutschland  nicht ausgeschöpft, obwohl digitale Lösungen längst unseren Alltag bestimmen. Vor Allem der Staat selbst und die Verwaltungen müssen bei der digitalen Souveränität aufholen. Woran liegt das? In welchen Bereichen müssen wir aufholen?

Zunächst einmal muss klar sein, was hinter dem Begriff digitale Souveränität steckt, denn das ist meist nicht eindeutig. Für uns bedeutet es nicht, dass wir alles, was digital ist, nur noch selbst machen. Sondern es geht darum, dass wir einseitige Abhängigkeiten – zum Beispiel von Tech-Giganten – reduzieren, Stärken unserer eigenen Digitalwirtschaft erkennen, deren Gestaltungskraft nutzen und so mehr Selbstbestimmtheit bei der Digitalisierung erreichen.

Das betrifft auch staatliche Strukturen. Und ja, es stimmt – hier gibt es bei der Verwaltung ein erhebliches Defizit, denn der Grad ihrer Digitalisierung ist für ein führendes Industrieland längst nicht mehr zeitgemäß. Das hat uns die Corona-Pandemie endgültig und sehr schonungslos gezeigt. Man denke nur daran, dass die zuständigen Behörden Infektionsketten zum Teil mit Hilfsmitteln wie dem Faxgerät oder per Brief nachverfolgen mussten.

Im Wesentlichen gibt es zwei zentrale Handlungsbereiche: zum einen die internen Verwaltungsprozesse. Viele Vorgänge könnten etwa durch Einsatz von Künstlicher Intelligenz oder der Blockchain deutlich effizienter bearbeitet werden.

Zum anderen die Verwaltungsdienstleistungen. Deren Inanspruchnahme durch Bürger und Unternehmen ist noch immer weitgehend analog geprägt. Viele Angaben müssen mehrfach und an verschiedenen Stellen gemacht werden, weil die Behörden untereinander kaum oder gar nicht vernetzt sind. Der bürokratische Aufwand, der dadurch entsteht, ist gerade für kleine und mittelständische Unternehmen ein echter Bremsklotz. In vielen Ländern Europas ist man da deutlich weiter als wir.

Welchen Schlüsselthemen müssen wir proaktiv begegnen, wenn wir unsere digitalen Souveränität  vorantreiben wollen?

Ein Schlüsselthema ist beispielsweise die elektronische Identität, mit der ich mich im digitalen Raum sicher und eindeutig ausweisen kann. Diese könnte digitale Behördengänge enorm vereinfachen und wäre ein wichtiger Meilenstein für das Vorrankommen im Bereich eGovernment. Die europäische Gesetzgebung dazu ist inzwischen angelaufen und auch in Deutschland gab es noch entsprechende Weichenstellungen kurz vor Ende der Legislatur.

Die zugrundeliegende Technologie sollte im Sinne der digitalen Souveränität möglichst von europäischen Herstellern bereitgestellt werden. Diese sollten dazu auch frühzeitig in den Prozess mit eingebunden werden.

Welche konkrete Rolle spielt der deutsche Mittelstand bei der Umsetzung von Digitalisierungszielen, wie beispielsweise bis zu 575 Verwaltungsdienstleistungen digital für alle Bürger*innen zugänglich zu machen?

Die Digitalwirtschaft in Deutschland ist weitgehend mittelständisch. Der IT-Mittelstand stellt die Mehrzahl der Arbeitsplätze und erwirtschaftet den Großteil des Umsatzes in der IT-Branche. Aus dem digitalen Mittelstand heraus entstehen Innovationen und neue Geschäftsmodelle, durch die es einige dieser Unternehmen zur Marktführerschaft gebracht haben.

Insbesondere im B2B-Bereich ist er stark und hilft somit auch bei der wichtigen Aufgabe, den etablierten Anwender-Mittelstand zu digitalisieren, damit er im internationalen Wettbewerb anschlussfähig bleibt. Insofern leistet der IT-Mittelstand einen großen Beitrag zur digitalen Transformation insgesamt. Bei der Verwaltungsdigitalisierung, etwa bei den von Ihnen genannten 575 Leistungen im Rahmen des Onlinezugangsgesetzes, wünschen wir uns noch mehr offenen Wettbewerb um die besten Lösungen. Hier wurde der digitale Mittelstand und seine Expertise in der Vergangenheit zu sehr außen vor gelassen.

Welche Ziele muss sich die neue Regierung Ihrer Meinung nach setzen,  um die digitale Transformation in Deutschland zu beschleunigen?

Um die digitale Transformation insgesamt zu beschleunigen, gibt es aus unserer Sicht mehrere zentrale Stellschrauben. Die Digitalisierung des Staates haben wir bereits besprochen. Die nächste Bundesregierung muss darüber hinaus unbedingt sicherstellen, dass wir effizienter werden beim Auf- und Ausbau digitaler Infrastruktur. Dazu zählt ein verlässliches Netz aus Breitbandverbindungen. Viele Unternehmen müssen längst immense Datenmengen verarbeiten. Deswegen brauchen wir ein solches Hochgeschwindigkeitsnetz – sozusagen als technischen Rumpf für die digitale Transformation – damit wir eine Chance haben, künftig noch mitzuhalten im globalen Wettbewerb um Zukunftsmärkte. Aber auch die Schaffung eines eigenen Cloud-Ökosystems wie GAIA-X zum sicheren Datenaustausch fällt in diese Kategorie.

Hohe Priorität hat für uns außerdem das Thema Bildung. Das Tempo, mit dem der digitale Wandel stattfindet, verlangt uns allen ein lebenslanges Lernen ab. Das gilt längst nicht mehr nur für IT-Fachkräfte, sondern für die Gesellschaft insgesamt. Bildung und Weiterbildung im Bereich digitaler Kompetenzen müssen deshalb nicht nur qualitativ hochwertig, sondern auch für jeden leicht zugänglich sein. Das ist deshalb so wichtig, weil wir nur so die souveräne Anwendung neuer Technologien und die Teilhabe am digitalen Fortschritt ermöglichen. Wir wollen aber nicht nur die Anwender, sondern auch die Gestalterinnen von Morgen ausbilden.

Gibt es konkrete Metriken auf die wir schauen sollten, die uns helfen können zu verstehen, wie gut wir bei der Digitalisierung, insbesondere auch der Verwaltung vorankommen?

Ja, beispielsweise veröffentlicht die Europäische Kommission den Digital Economy and Society Index (DESI Index), der die Fortschrittlichkeit der EU-Staaten hinsichtlich der digitalen Transformation erfasst – übrigens auch im Bereich der Verwaltungsdigitalisierung. Für diese Kategorie zieht er Indikatoren heran wie die Nutzerzahlen im Bereich eGovernment, den Vernetzungsgrad von Registern zwischen einzelnen Behörden oder etwa die Verfügbarkeit von Verwaltungsdienstleistungen, die komplett online genutzt werden können. Leider schneidet Deutschland hierbei schlecht ab und belegt derzeit im Vergleich aller 27 EU-Staaten nur Platz 21. So darf es nicht bleiben; hier ist ordentlich Tempo geboten.

Welchen Rat würden Sie der neue Regierung als Experte geben?/ Welche Wünschen haben Sie an die neue Regierung?

Ich erhoffe mir von der nächsten Bundesregierung eine digitalpolitische Trendwende, die durch ein neues, mutigeres und pragmatischeres Mindset geprägt ist, denn zu oft wurden in der Vergangenheit gute Ideen zu lange diskutiert und zerredet, während andere bereits die Standards setzen. Dabei sollte das eingangs erwähnte Ziel der digitalen Souveränität handlungsleitend sein.

Ebenso gilt es zu erkennen, dass wir die zweite Halbzeit der Digitalisierung noch für uns entscheiden können. In Deutschland und Europa können wir beispielsweise durch Nutzung industrieller Daten im B2B-Bereich aktuell noch wichtige Geschäftsfelder besetzen und Wohlstand sichern.