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Case Study - OKRs bei Digital Media Women e.V.

Inhaltsverzeichnis

Mit Objectives und Key Results (OKR) können Ziele auf allen Organisationsebenen definiert und Schritte, die zu deren Erreichung nötig sind, festgehalten werden. Idealerweise können Teams so ihr strategisches Denken steigern und mit ihrer Arbeit zur Unternehmens-Mission beitragen. Damit ist das Framework bei weitem nicht nur für For-Profit Organisationen interessant. Maren Martschenko von Digital Media Women e.V. gibt in diesem Interview wertvolle Einblicke, wie OKRs ehrenamtliche Arbeit erleichtern und voranbringen können.

Hallo Maren. Du bist Vorsitzende des Digital Media Women e.V. – erzähl uns doch mal, was ihr macht und wer ihr seid.

Wir, die Digital Media Women, sind eine im Jahr 2010 gegründete Community, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die Chancengleichheit von Frauen und Männern in der Digitalwirtschaft zu erreichen. Seit 2012 sind wir ein gemeinnütziger Verein mit heute über 100 ehrenamtlich engagierten Frauen in neun Städten und Regionen Deutschlands. Unsere Vision ist es, in einer Welt zu leben, in der Vielfalt herrscht. In einer Welt zu arbeiten, in der Frauen gleichberechtigt teilhaben und sichtbar Einfluss nehmen. Wir sehen im digitalen Wandel die größte Chance, diese Vision zu verwirklichen. Dafür erhöhen wir die Sichtbarkeit von Frauen auf allen Bühnen, unterstützen und vernetzen Frauen, die den digitalen Wandel vorantreiben, und übersetzen unsere Vision in eigene Formate und konkrete Vorschläge für Politik, Wirtschaft, Medien und Gesellschaft. Mit knapp 20.000 Frauen und Männern sind wir Deutschlands größte Online-Community in diesem Bereich.

Ihr habt OKRs bei Digital Media Women eingeführt. Wie kam es dazu?

Gerade im Ehrenamt passiert es schnell, dass man zwischen den eigenen Ansprüchen, den vielen Ideen und dem prall gefüllten Alltag zerrieben wird. Auch bei den #DMW verfolgen wir große Ideale und ein ehrgeiziges Ziel: Nichts weniger als die gleichen Chancen für Frauen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Leider lässt sich der Fortschritt oft nicht unmittelbar erkennen oder gar messen. Schnell entsteht ein Gefühl, nicht genug zu machen. Oder weil verschiedene Arbeitsgruppen an verschiedenen Standorten an unterschiedlichen Themen arbeiten, dass man nicht an einem Strang zieht. Dadurch, dass wir remote an unterschiedlichen Themen arbeiten, fließen die notwendigen Informationen nicht immer wie gewünscht. Dann kommt verständlicherweise Frust auf. Schließlich verbringen unsere über 100 ehrenamtlich Aktiven ihre Freizeit mit diesem Anliegen. Da will man keine Zeit verschwenden, sondern wirksam sein.

Was wolltet ihr durch die Einführung von OKRs verändern?

Die Einführung der OKRs sind für uns ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur Agilisierung des Vereins insgesamt. Ein Vorhaben in der Größenordnung und Komplexität wie es unsere Vision  ist - "Wir wollen in einer Welt leben, in der Vielfalt herrscht. Wir wollen in einer Welt arbeiten, in der Frauen gleichberechtigt teilhaben und sichtbar Einfluss nehmen." - lässt sich unseres Erachtens nach nur mit einer agilen Vorgehensweise realisieren.

Um im Hier und Jetzt Wirkung bzw. Impact zu erzeugen, muss man Silos aufbrechen und sich wie wir netzwerkübergreifend immer wieder neu zusammenschließen sowie digitale Communities gut einzubinden.

Ebenfalls wichtig: Die jeweiligen Ressourcen optimal bündeln, um zum richtigen Zeitpunkt SCHNELL gemeinsam an einem Strang zu ziehen und Impact zu vervielfachen. Das erfordert aber eine ganz neue Form der Organisation. Mit möglichst wenig Hierarchien und umso mehr agilem Mindset und guten Strukturen. Um dem gerecht zu werden,  versuchten wir es zuerst mit klassischen strategischen Planungstools. Die setzen aber bereits ein hohes Maß an strategischem Denken voraus, das realistischerweise überhaupt nicht bei allen vorhanden ist (und auch nicht sein muss). Was wir daraus allerdings ableiteten, waren vier strategische Handlungsfelder für unseren schnell wachsenden Verein, die bis heute relevant sind:

  • die strategische Positionierung
  • die externe Kommunikation
  • das politische Mandat
  • die interne Organisation

Wir haben in den vergangenen vier Jahren sehr viel an der Kommunikation in virtuellen, dezentral organisierten Teams gearbeitet, u.a. mit der GfK-Methode. Wir haben Google Drive als kollaborative Plattform implementiert. Was noch fehlte, war ein Framework, das den Frauen hilft, ihr Handeln strategisch auszurichten und regelmäßig Erfolgserlebnisse in Form von Fortschritt und Wirkung zu erzielen. Schließlich arbeitete sich eine kleine Taskforce in die Wirkungslogik von Phineo ein. Diese wurde speziell für Non-Profit-Organisationen entwickelt, um die Wirkung der Arbeit zu verdeutlichen. Die Wirkungslogik von Phineo ist sehr durchdacht. Sie erwies sich allerdings für eine breit aufgestellte Organisation wie die #DMW mit einem komplexen Thema wie dem unseren als nicht geeignet. Die Einarbeitung in diese Methode war für die Teams zu aufwendig. Die Arbeit damit half uns allerdings zu verstehen, was die größten Hebel sind, um die Chancengleichheit herzustellen. Daraus ist u.a. unsere Idee zur Kampagne #30mit30 entstanden.

Was uns aber immer noch fehlte, war eine Methode, um überregional stärker an einem Strang zu ziehen und gleichzeitig die Lücke zwischen Anspruch – dem was wir erreichen wollen – und Wirklichkeit – dem was wir tatsächlich mit den verfügbaren Ressourcen erreichen können – zu schließen.

Weswegen habt ihr euch für OKRs entschieden? Welche Faktoren haben letztendlich den Ausschlag gegeben?

Aus  den verschiedenen „Fehlversuchen” lernten wir: Das Framework muss einfach zu verstehen sein und für lange Zeit anhalten. Es braucht eine strategische Ausrichtung und sollte gleichzeitig die Motivation stärken. Es muss etwas sein, dass die Selbstführungsqualitäten jeder einzelnen handelnden Person stärkt. Und da wir eine Grassroot-Bewegung sind, war uns der Bottom-up-Charakter wichtig. Die Methode musste agil sein. Was heißt das? Der Mitautor des agilen Manifests Robert Martin formuliert es so:

"In some ways agile is a way of destroying hope as early as possible. Get hope out of the project, get the project down to reality."

"Crashing hopes" mag destruktiv klingen, aber gerade im Ehrenamt ist es wichtig, möglichst früh im Prozess große Erwartungen an die Realität anzugleichen. In Gesprächen mit Organisationsberaterin Sabine Kahlenberg und Agile Coach Fran Fischer darüber, wie wir unsere Organisation dahingehend besser ausrichten können, wurde klar, dass die OKR-Methode ideal dafür ist.

Die Entscheidung ist ja immer nur der erste Schritt. Wie habt ihr es geschafft in „Doing” zu kommen? Was waren die ersten Schritte?

Der erste Schritt in Richtung OKRs, der sich bereits bei der Wirkungslogik und der Einführung der Kollaborationsplattform bewährt hatte, war: Mit einer kleinen Gruppe zu starten. Und zwar möglichst weit oben.

Als Vorstand haben wir Rolemodel-Charakter.

Damit das aber nicht zu einer Top-Down-Veranstaltung mutierte, holten wir ein Beiratsmitglied und zwei Mitglieder einer Regionalgruppe bzw. der gerade neu gebildeten Taskforce Politik dazu. Sie waren hoch motiviert, die Methode kennenzulernen. Der Rollout selbst passiert iterativ, weil wir so Stück für Stück lernen, wie wir als Verein mit der Methode arbeiten können. Angeleitet durch Agile Coach Fran Fischer erarbeiteten wir unsere Midterm Goals (MOALs). Das dauerte länger als gedacht. Denn hier fiel uns vor die Füße, was sicher viele Grassroot- Bewegungen kennen:

Wir hatten zu viele gleichwertige Prioritäten. Das Formulieren der Ziele und des jeweiligen WARUMs empfanden wir als sehr herausfordernd.

Dennoch haben wir es als Team innerhalb eines Wochenendes geschafft, die MOALs und GOALs als Vorstand fürs erste Quartal 2019 in eine Tabelle zu bringen. Ab diesem Zeitpunkt arbeiteten wir innerhalb des Vorstands konsequent mit den OKRs. Wir wurden zunehmend besser darin, OKRs zu formulieren.  Die regelmäßigen Reviews und Retros der OKRs helfen uns dabei, uns stetig zu fokussieren und zu priorisieren sowie große Ideen mit realen Ressourcen abzugleichen – oder zu "kärchern", wie wir es im Vorstand nennen – und etwas radikaler zu formulieren.

Habt ihr in der Zeit seit der Einführung bereits erste Erfolge bemerkt?

Die OKRs sind die ideale Gesprächsgrundlage, um sachlich zu entscheiden, was oberste Priorität hat und was nicht.

Das ist sehr wichtig, denn wenn man sich aus ganzem Herzen engagiert, kommen an solchen Stellen schon mal Emotionen hoch. Mit Blick auf die Tabelle können wir dennoch gut im Team zu einer Entscheidung kommen. Die OKRs haben uns im Vorstand sehr geholfen, uns bei den Aktivitäten besser zu fokussieren und deren Wirksamkeit leichter nachzuvollziehen. So haben wir wichtige Meilensteine geschafft, z.B. mit unserer #30mit30 Kampagne und unserer Vorständin Maren Heltsche als Sonderbeauftragte des Vorstands für Digitalisierung im Deutschen Frauenrat.

Wir erleben, dass die Methode wirklich genau da erleichtert, wo unser größter Schmerz sitzt und wir das Gap zwischen dem, was wir uns vornehmen und dem, was wir tatsächlich tun, endlich schließen können. Das entspannt extrem.

Habt ihr seit dem initialen Rollout mit dem Vorstand OKRs noch weiter in den Verein getragen?

Nach einem halben Jahr konnten sich zwei Teams bewerben, um ebenfalls die Methode mit Agile Coach Fran Fischer zu implementieren. Uns war wichtig, dass die Motivation groß ist. In dieser Konstellation entwickelten wir innerhalb eines Wochenendes dann die MOALs für 2020 und jeweils die GOALs für das erste Quartal 2020. Als Vorständinnen schlüpften wir an dem Wochenende auch in die Rolle von Coaches, um den Neulingen beim Formulieren zu helfen. Um den Rollout der OKR-Methode in alle #DMW Quartiere voranzutreiben, trafen sich Ende Januar 23 aktive Digital Media Women für ein Wochenende zum alljährlichen #DMW Leadership Camp. Ziel dieses Leadership Camps war es, die Umsetzung von OKRs – sprich die Formulierung von Objectives (Richtung), Key Results (messbare Ergebnisse) und Initiatives (Maßnahmen) – verstehen zu lernen und gemeinsam mit den anderen auszuprobieren. Vertreterinnen von acht der neun Quartiere waren hoch motiviert dabei. Unsere ersten Learnings, die wir direkt an die Teams weitergeben konnten:

  • Qualität vor Quantität
  • Logik vor Vollständigkeit
  • Fortschritt vor Richtigkeit
  • In case of doubt: Backlog
  • Vorwärts arbeiten, rückwärts verstehen

Was hat sich seit der Einführung für OKRs verändert? Was habt ihr gelernt?

OKRs sind eine agile Strategiemethode, um die Ziele, die man sich für das Jahr vornimmt, auch tatsächlich zu realisieren und die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit zu schließen.

Die Vorgehensweise klingt auf den ersten Blick logisch und banal, erfordert in der Praxis aber Übung. Denn man kann sich durchaus verheddern im Sinne von zu viel auf einmal gewollt oder zu kleinteilig gedacht. Trotzdem funktioniert das Framework besonders gut, weil:

  • die Methode eine starke Disziplinierung beinhaltet
  • der Fokus auf den Herausforderungen liegt
  • man lernt, sich nicht zu viel auf einmal vorzunehmen
  • die Frage nach dem jeweils nächsten Schritt immer mitschwingt
  • die Verantwortlichkeiten klar definiert sind
  • die Ergebnisse (Key Results) eigenständig und nicht voneinander abhängig sind, so dass sie sich nicht gegenseitig blockieren
  • sich die Fortschritte gut beobachten und messen lassen
  • Learnings thematisiert werden

Vor allem wird durch das Arbeiten mit der OKR-Methode klar, wie schnell wir alle in Lösungen denken, wenn es im Grunde um den Weg dorthin geht. Damit bremsen wir uns aber selbst aus und überfordern uns. Und das wollen wir bei den #DMW nicht. Wir wollen unser Ziel der Chancengleichheit erreichen. Und je klarer unser Fokus auf den Weg und auf unsere ehrenamtlichen Ressourcen gerichtet ist, umso besser können wir zur Problemlösung beitragen. Erfolg ist die Summe vieler kleiner Schritte. Jeder Erfolg ist immer auch ein Teamerfolg. Das gilt auch und gerade für das Erreichen von Gleichberechtigung und Diversität in Unternehmen.

Genau da setzt die OKR-Methode an: Viele kleine, messbare Schritte, bottom-up im Team entwickelt, mit kontinuierlicher Verbesserung durch Reviews und Retros.

Wie geht es jetzt weiter für euch? Welche Herausforderungen gibt es noch?

Um die Methode innerhalb des gesamten Vereins zu verfestigen, werden wir regelmäßig eine OKR-Sprechstunde in Form eines virtuellen Retros machen. Die Reflexion im Umgang mit der Methode und der gegenseitige Austausch, um zu lernen, ist sehr wertvoll. Je besser das gelingt, desto wahrscheinlicher wird es, dass das Framework tatsächlich greift. Was wir gemerkt haben: Für Non-Profit-Organisationen funktionieren manche Aspekte der Methode anders, z.B. arbeiten alle freiwillig in einem selbst bestimmten Zeitfenster für den Verein. Das verlangsamt vieles. Unser Ziel ist es, Wirkung zu erzielen, nicht Profit. Die ist nicht ganz so einfach messbar. Da fehlt OKR-Coaches, die sonst nur für Profit-Organisationen arbeiten, die Erfahrung. Deshalb werden wir intern Frauen zu OKR-Mastern ausbilden lassen. Diese unterstützen dann die Quartiere und Taskforces mit Workshops bei der Entwicklung ihrer OKRs. Wenn das gut klappt, werden wir im Herbst unser OKR-Planungscamp mit allen Quartieren und Taskforces machen. Ziel ist, 2021 die Methode im gesamten Verein flächendeckend einzusetzen. Nach jetzigem Stand sind wir sehr zuversichtlich, dass das gelingen wird. Bislang sind wir nach unserem Kenntnisstand die erste und einzige Non-Profit-Organisation, die mit OKRs arbeitet. Dabei ist das Framework gerade für Organisationen, die viel mit Ehrenamtlichen arbeiten, prädestiniert, um gemeinsam mit mehr Motivation mehr Wirkung zu erzielen. Und darum geht es ja am Ende des Tages.

Vielen Dank Maren für die Einblicke. Wir wünschen euch weiterhin viel Erfolg und sind uns sicher ihr inspiriert sowohl das ein oder andere Non-Profit wie auch For-Profit Unternehmen.

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